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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 08.03.2007
Aktenzeichen: 11 K 565/06
Rechtsgebiete: EStG, LStDV
Vorschriften:
EStG § 38 Abs. 2 S. 1 | |
EStG § 38 Abs. 3 S. 1 | |
EStG § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 | |
EStG § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 | |
LStDV § 1 Abs. 1 | |
LStDV § 1 Abs. 2 |
Finanzgericht Niedersachsen
Lohnsteuer April 2005 - August 2006
Tatbestand:
Streitig ist, ob die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund der Fortführung des Betriebes durch den Schuldner entstandenen Lohnsteuerforderungen Masseverbindlichkeiten darstellen.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des M. M betrieb seit 1988 das Restaurant und Hotel "F." in dem ebenfalls im Jahr 1988 für 950.000 DM angeschafften Objekt in der Y-Straße in N. Außerdem betrieb er jahrelang den Ausschank in der angrenzenden Stadthalle.
Am 30. Dezember 2004 wurde über das Vermögen des M die vorläufige Verwaltung durch den Insolvenzverwalter - den Kläger - angeordnet und am 4. März 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am gleichen Tag erklärte der Kläger durch Schreiben an den M die Freigabe des Geschäftsbetriebes. Dies bedeute - so teilte er mit -, dass M auf eigene Rechnung den Betrieb weiterführen könne und dass er sämtliche mit dem Geschäftsbetrieb verbundenen Aufwendungen selber zu bezahlen hätte. Bevor der Kläger die Freigabe erklärte, hatte er als Insolvenzverwalter die Arbeitsverträge mit den Arbeitnehmern des M gekündigt. M schloss dann später neue Arbeitsverträge mit den Arbeitnehmern und zahlte die Löhne an die Arbeitnehmer aus. Diese Zahlungen erfolgten auf eigene Rechnung des M.
M führte das Hotel und Restaurant auf Grund dieser Freigabeverfügung bis 2006 fort. Dann stellte er den Betrieb ein. Für die Monate April bis September des Jahres 2005 wurden Umsatzsteuer- und Lohnsteuervoranmeldungen beim Beklagten nicht vom Kläger, sondern vom Schuldner eingereicht. Der Beklagte erkannte diese Freigabeerklärung nicht an und erließ Umsatz- und Lohnsteuerbescheide gegen den Kläger als Insolvenzverwalter. So erließ er Lohnsteuerbescheide für die Monate April 2005 bis August 2006 und einen Umsatzsteuerbescheid für 2005 sowie Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für April 2005 bis April 2006. Seit Oktober 2005 schätzte der Beklagte die Vorauszahlungen mangels Abgabe der Voranmeldungen. Am 6. Januar 2006 erließ er den Umsatzsteuerbescheid 2005.
Gegen die Lohnsteuerbescheide, Vorauszahlungsbescheide und den Umsatzsteuerbescheid 2005 legte der Kläger Einsprüche ein, die als unbegründet zurückgewiesen wurden. Dagegen erhob der Kläger Klage.
Der Kläger trägt vor, die Freigabe sei u.a. erfolgt, weil die Gegenstände des Geschäftsbetriebes (Teil der Küchenausstattung, Gaststätteninventar, Getränkeanlage, Inventar des Restaurant und Hotels) überwiegend mit Aus- und Absonderungsrechten gemäß §§ 47 Insolvenzordnung (InsO) belastet gewesen seien. Soweit die Bescheide den Zeitraum nach Juni 2006 betreffen, seien die Bescheide schon deshalb rechtswidrig, weil der Betrieb bereits im Juni 2006 eingestellt gewesen sei.
Ansonsten seien die Bescheide rechtswidrig, weil der Betrieb freigegeben worden sei, so dass die Steuerforderungen nicht die Masse betreffen würden. Die vertraglichen Bindungen seien alle neu durch den Schuldner herbeigeführt worden. Diese betreffen nicht nur seine Angestellten, sondern auch die Lieferanten und Kunden. Der Kläger habe den Schuldner weder in seiner Geschäftsführung beaufsichtigt, bevollmächtigt, im Namen des Klägers Verträge abzuschließen, noch auf Rechnung des Klägers den Geschäftsbetrieb fortgeführt.
Es handele sich bei der Fortführung des Geschäftsbetriebes um eine insolvenzfreie Rechtsphäre. Dies werde auch durch die Rechtsprechung des BFH bestätigt (BFH-Urteil vom 7. April 2005 V R 5/04, BStBl II 2005, 848). Gastwirte würden überdies Leistungen im Sinne des § 811 Nr. 5 Zivilprozessordnung (ZPO) erbringen, so dass das benötigte Inventar nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbar sei.
Der Kläger beantragt,
die Lohnsteuerbescheide der Monate April 2005 bis August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 13. Oktober 2006 und 18. Oktober 2006 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, eine Freigabe eines gesamten Geschäftsbetriebes sei als solches nicht möglich. Die Insolvenzordnung (InsO) stelle auf einzelne Vermögensgegenstände ab. Aus dem Urteil des BFH vom 7. April 2005 (a.a.O.) ergebe sich nichts anderes.
Im Übrigen sei der Gewerbebetrieb nicht schon im Juni 2006, sondern erst am 7. August 2006 abgemeldet worden. Die Veräußerung sei erst zum 31. August 2006 erfolgt.
Weiterhin sei die Kündigung der Arbeitnehmer Teil eines einheitlichen Vorganges. Auch die neuen Arbeitsverträge des Schuldners und die Lohnzahlungen seien dem Insolvenzverwalter zuzurechnen.
Das Klageverfahren hinsichtlich des Umsatzsteuerbescheides 2005 und der Umsatzsteuervorauszahlungen Januar 2006 bis April 2006 wurde abgetrennt und zuständigkeitshalber an den 16. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Klage ist begründet.
Die Lohnsteuerbescheide der Monate April 2005 bis August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 13. Oktober 2006 und 18. Oktober 2006 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Lohnsteuerbescheide hätten nicht an den Kläger als Arbeitgeber gerichtet werden dürfen.
1. Der Arbeitnehmer ist nach § 38 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) der Schuldner der Lohnsteuer (Steuerschuldner). Der Arbeitgeber hingegen hat die Lohnsteuer einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG beim Finanzamt anzumelden und abzuführen (Entrichtungsschuldner).
Der lohnsteuerrechtliche Arbeitgeberbegriff ist im EStG nicht definiert. Er wird abgeleitet aus den in § 1 Abs. 1 und 2 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) enthaltenen Begriffen Arbeitnehmer und Dienstverhältnis (vgl. BFH-Urteil vom 19. Februar 2004 VI R 122/00, BStBl II 2004, 620, 621 m.w.N.). Danach ist Arbeitgeber derjenige, zu dem eine bestimmte Person, um deren einzubehaltende Lohnsteuer es geht, in einem Arbeitnehmerverhältnis steht (zivilrechtlicher Arbeitgeberbegriff; BFH-Urteil vom 19. Februar 2004 VI R 122/00, BStBl II 2004, 620, 621;Urteil vom 17. Februar 1995 VI R 41/92, BStBl II 1995, 390; s. auch Drenseck in Schmidt, EStG, 25. Aufl. 2006, § 38 Tz. 4 m.w.N.).
Im Rahmen von Dreiecksverhältnissen - wie sie z.B. bei Arbeitnehmerüberlassungen vorliegen -, hat der BFH maßgeblich denjenigen als Arbeitgeber angesehen, der dem Arbeitnehmer den Lohn in eigenem Namen und für eigene Rechnung (unmittelbar) auszahlt (BFH-Urteil vom 19. Februar 2004 VI R 122/00, BStBl II 2004, 620, 621;Urteil vom 24. März 1999 I R 64/98, BStBl II 2000, 41, 43;Urteil vom 2. April 1982 VI R 34/79, BStBl II 1982, 502, 503; Drenseck in Schmidt, EStG 25. Aufl. 2006, § 38 Tz. 4; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 6. Aufl. 2006, § 38 Tz. 5).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist davon auszugehen, dass M und nicht der Kläger Arbeitgeber derjenigen Personen ist, um deren einzubehaltende Lohnsteuer es geht. Die Arbeitsverhältnisse bestanden nach der Kündigung der Arbeitsverträge durch den Insolvenzverwalter und deren Neubegründung durch M zivilrechtlich zwischen M und den Arbeitnehmern. Die Lohnzahlungen wurden durch M in eigenem Namen und auf seine Rechnung vorgenommen. Dies wird auch durch die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters vom 4. März 2005 bestätigt. Darin wird der Geschäftsbetrieb mit dem Hinweis freigegeben, dass M nur auf eigene Rechnung den Betrieb weiterführen könne und dass sämtliche mit dem Geschäftsbetrieb verbundenen Aufwendungen M selber zu bezahlen habe.
3. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Beklagten, dass es sich bei der Erklärung der Freigabe, der Kündigung und Neuabschluss der Arbeitsverhältnisse um einen einheitlichen Vorgang handelt, der - so der Beklagte - dazu führt, dass insgesamt kein insolvenzfreier Betrieb von M betrieben worden ist und damit die Lohnsteuerforderungen dem Kläger als Insolvenzverwalter - wie geschehen - zuzurechnen sind. Der Beklagte verkennt, dass nur die Verwaltungs- und die Verfügungsbefugnisse über das massezugehörige Vermögen auf den Insolvenzverwalter übergehen (§ 80 Abs. 1 Insolvenzordnung - InsO -). Der Schuldner verliert dagegen durch die Insolvenz nicht die Rechts- und Geschäftsfähigkeit, so dass es dem Schuldner unabhängig von der Insolvenzmasse frei steht, neue Arbeitsverträge mit Dritten abzuschließen (vgl. Eickmann in Eickmann u.a., Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2003, § 80 InsO, Tz. 4; Kroth in Braun, Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2004, § 80 Tz. 12; Ott in MünchKommInsO, 2001, § 80 Tz. 11). Es ist somit nach dem System des Insolvenzverfahrens keine einheitliche Betrachtung der geschäftlichen Vorgänge angebracht.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die erzielten Einnahmen, die der Schuldner für die Auszahlung der Löhne verwandt hat, ohne Kürzung um die betrieblich veranlassten Ausgaben zur Insolvenzmasse gehören (BGH-Beschluss vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, DB 2003, 1507; a.A. LG Trier Beschluss vom 16. Juli 2002 3 T 3/02, juris; Bäuerle in Braun, Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2004, § 35 Tz. 77). Entscheidend ist im Streitfall allein die Zahlung der Löhne im eigenen Namen und unmittelbar für eigene Rechnung des M. Dieser zahlte die Löhne für eigene Rechnung, um seiner Zahlungsverpflichtung aus den Arbeitsverträgen nachzukommen. Ob die Zahlungsmittel zur Insolvenzmasse gehörten, ist dafür unerheblich.
4. Der Senat weicht mit dieser Beurteilung nicht von der Rechtsprechung des V. Senats des BFH ab, nach der dieser entscheidend darauf abstellt, ob die Steuerschulden aus einer insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners herrühren (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 2005 V R 5/04, BStBl II 2005, 848, 849;Urteil vom 28. Juni 2000 V R 87/99, BStBl II 2000, 639). Diese Rechtsprechung ist nicht auf den Streitfall anwendbar. Sie ist zur Umsatzsteuer ergangen und bezieht sich daher auf die Frage, ob insolvenzfreie Umsätze getätigt wurden oder nicht. Dagegen geht es bei der Lohnsteuerschuld allein um die Frage, ob Arbeitsverhältnisse zum Kläger als Insolvenzverwalter oder zum Schuldner bestanden.
Die Lohnsteuerbescheide waren daher aufzuheben.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Ende der Entscheidung
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